Training auf instabilen Unterlagen: Sinn und Unsinn von Wackelkissen

Training auf instabilen Unterlagen erfreut sich in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit. Sei es auf Wackelkissen, zusammengerollten Matten, Bosubällen oder anderen kreativen Erfindungen.

Häufig wird das Training auf instabilen Unterlagen mit dem des funktionellen Trainings gleichgesetzt. Je komplexer und anspruchsvoller die Bewegung, umso besser.

Die Tiefenmuskulatur solle gestärkt werden. Eine bessere Muskelfaserrekrutierung durch die Instabilität sei möglich. Bessere Balance. Bessere Sensomotorik. Das alles klingt nach dem heiligen Gral der Trainingswissenschaft.

Doch was ist dran? Was bringt Training auf instabilen Unterlagen? Wo kommt es eigentlich her? Wann macht es Sinn und wann nicht?

In diesem Artikel gehen wir dem Ganzen auf den Grund.

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Woher kommt das Training auf instabilen Unterlagen?

Die Idee der wackeligen Unterlagen stammt ursprünglich aus der Physiotherapie. Mit deren Hilfe wurden insbesondere Probleme im Sprunggelenk behandelt. 

Denn nach einer Verstauchung des Sprunggelenks entwickeln viele Betroffene eine Instabilität im Knöchel.

Grund dafür: Nach einer Verstauchung feuert die peroneale Muskelgruppe (außen am Unterschenkel) langsamer, was das Sprunggelenk anfälliger für erneute Verletzungen macht.

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Mit Training auf instabilen Unterlagen kann die sensorische Funktion gesteigert werden.

Das bedeutet, dass das zentrale Nervensystem besseres Feedback erhält und so die motorischen Signale verbessert, die es aussendet.

Im Zuge des Erfolges bei Verletzungen der Sprunggelenke wurden wackeligen Unterlagen auch bei anderen Verletzungen angewandt. Mit Erfolg? Nicht unbedingt.

Insbesondere zwei Studien möchte ich an dieser Stelle anführen.

So konnte eine Studie aus dem Jahr 2004 zeigen, dass bei Volleyball-Spielern das Training auf instabilen Unterlagen die Häufigkeit von Knöchelverstauchungen reduziert.

Der Haken: Das gilt nur für Spieler, die bereits eine Verstauchung hatten. Für alle anderen Spieler hatte das Training keinen nennenswerten Effekt.

Dieselbe Studie fand heraus, dass die Verletzungswahrscheinlichkeit für Knieverletzungen zunahm.

Eine andere Studie untersuchte weibliche Profi-Fußballerinnen. Ergebnis: Training auf instabilen Unterlagen reduzierte nicht die Häufigkeit von Verletzungen in den unteren Extremitäten.

Tatsächlich nahm die Häufigkeit von Verletzungen am vorderen Kreuzband bei denen zu, die auf instabilen Unterlagen trainierten.

Die Quintessenz: Es kommt drauf an. Was für den einen gut ist, kann für den anderen Murks sein. Der Einsatz möchte gut überlegt sein.

Was ist mit den anderen nachgesagten Effekten? Was ist da dran? Das schauen wir uns jetzt an.

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Sinn und Unsinn von instabilen Unterlagen

Dem Training mit Wackelkissen werden allerhand weitere positiver Eigenschaften nachgesagt. Es erhöhe die Muskelfaserrekrutierung, verbessere das Gleichgewicht und trainiere die Tiefenmuskulatur.

Wie sieht es aus?

#1 Kraft-Output

Eine Studie von Eric Cressey zeigt eindeutig, dass das Training auf instabilen Unterlagen den Kraft-Output reduziert.

Das gute Design der Studie gibt ihm recht!

Dabei wurden zwei Gruppen verglichen.

Die eine absolvierte zusätzlich ein Training auf instabilen Unterlagen, die andere nicht.

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Ergebnis: Die Gruppe, die auf wackeligen Unterlagen trainierte, schnitt beim Sprint, bei Agilität und bei schnellkräftigen Übungen schlechter ab.

Das ist also vom Tisch: Training auf instabilen Unterlagen reduziert die Schnellkraft und den Kraft-Output. Für Sportler, die auf Leistung trainieren, kann das den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen!

Die Sportarten, die auf derartigen Untergründen stattfinden, lassen sich an einer Hand abzählen.

Wie sieht es nun mit der Muskelfaserrekrutierung aus?

#2 Muskelfaseraktivierung

Diese Studie liefert Antworten. Verglichen wurden zwei Gruppen. Eine absolvierte Kniebeuge auf einer wackeligen Unterlage, die andere auf festem Boden.

Dabei stellten sie erstaunlicherweise fest, dass die Muskelaktivität höher war, je mehr Gewicht genutzt wurde.

Nun aber das wahrlich Interessante: Die Muskelaktivität unterschied sich in keinster Weise zwischen den Gruppen. Es ist also egal, ob Kniebeuge auf dem Bosuball oder auf dem Boden ausgeführt werden.

Der treibende Faktor für Muskelaktivität ist tatsächlich die Last, egal auf welcher Unterlage.

In der Studie wurde allerdings nur bis etwa 60% des Fmax gemessen. Schwerer wollten die Forscher aus Sicherheitsgründen nicht testen. Allein das sollte uns zu denken geben.

Die Quintessenz: Da die Muskelaktivität gleich war, empfahlen die Forscher, das Training auf instabilen Unterlagen aus dem Plan zu nehmen. (wohl gemerkt: Wenn es um Muskelaufbau oder Kraft geht!)

Zusätzlich verändert das Training auf wackeligen Unterlagen das Bewegungsmuster. Die Muskeln werden einfach nicht mehr so angesteuert, wie bei den Bewegungsäquivalent auf festem Untergrund bzw. besitzen die wenigsten eine derartige Kontrolle, dass sie die Bewegung exakt gleich ausführen können.

Daher auch die erhöhte Verletzungswahrscheinlichkeit der Knie. Aber stärkt das Training auf wackligen Kissen nicht die stabilisierende Tiefenmuskulatur in den Knie?

#3 Tiefenmuskulatur

Gut, dass du fragst! Gegenfrage: Welche Tiefenmuskulatur? Die Hauptstabilisatoren des Kniegelenks sind der Gluteus Medius (Gesäß), der Vastus Medialis (Oberschenkel) und der hintere Oberschenkel. Dazu kommen die Wadenmuskeln.

Doch welche Tiefenmuskulatur? Die Frage ist rhetorisch.

Wie sieht es mit der Tiefenmuskulatur im Rumpf aus? Das Argument gibt es ja auch.

Und in der Tat kann das funktionieren. Doch nicht so, wie sich das viele vorstellen.

Insbesondere bei Rückenschmerzen kommt es häufig auf gute Bewegungsmuster an. Wir haben bereits gesehen, dass Training auf instabilen Unterlagen Bewegungsmuster verfälschen kann.

Jeder, der schon einmal auf einem Wackelkissen stand, kann das bestätigen.

Das Training der Tiefenmuskulatur lässt sich aber optimieren, indem wir das Ganze herumdrehen. Das heißt: Wir stehen auf festem Untergrund und haben etwas wackeliges in der Hand.

Dann muss die Tiefenmuskulatur im Rumpf ordentlich ackern!

Overhead Carries eignen sich wunderbar, um ein instabiles Element in das Training zu integrieren und die Tiefenmuskulatur zu stärken.

Die Möglichkeiten sind zahlreich und sollten immer entsprechend der Fähigkeit, Voraussetzung und Zielstellung ausgewählt werden.

Häufig wird auch die Balance als Trainingsziel angeführt. Wie sieht es hier aus?

#4 Training des Gleichgewichts

Das scheint doch offensichtlich, oder? Ich stehe auf etwas, das wackelt. Natürlich verbessert das die Balance.

Ja und nein. In der Physio hat es Vorteile. Siehe nächster Punkt.

Bis zu einem bestimmten Niveau bietet es Vorteile.

Danach sind die Vorteile beim Training auf festem Untergrund größer.

muskuläre Dysbalancen erkennen

Und dann kommt wieder die Frage: Welche Balance benötigst du im Alltag? Häufig benötigen wir Balance auf festem Untergrund, z.B. beim Stolpern oder auf einem Bein.

Diese Fähigkeiten lassen sich mit schweren Kniebeugen, Ausfallschritten, Bulgarian Split Squats etc. hervorragend trainieren.

Beweisstück A: Felix Kade hat nie auf wackeligen Unterlagen trainiert. Immer nur mit schweren Kniebeugen und kann wunderbar auf Wackelkissen balancieren. #Protzenkanner #Angeber.

Zusätzlich sind halb-kniende Varianten wie beim Chops and Lifts von Haus aus instabiler und fördern dynamische Stabilisation.

#5 Nachteile im Training, Vorteile in der Physio

Die eben aufgeführten Nachteile können in der Physiotherapie große Vorteile sein. Richtig eingesetzt kann hier die Propriozeption und Muskelkoordination verbessert werden.

Die Nachteile, die durch die Instabilität bezüglich Kraft entstehen, können bei Patienten genau richtig sein.

Sie benötigen eine geringere Intensität und die Effekte der Instabilität auf das neuromuskuläre System schieben möglichen Überlastungen direkt einen Riegel vor.

Dennoch kann für die verletzte Struktur ein ausreichend starker Stimulus ausgeübt werden, um Anpassungen zu generieren.

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SAID: Ein einfaches Grundprinzip

SAID steht für specific adaptations to imposed demands. Übersetzt: Der Körper passt sich an das an, was er wiederholt machen muss.

Wenn der Körper trainiert wird, um auf wackligen Unterlagen stabil zu stehen, was kann er dann gut? Auf wackeligen Untergründen stehen.

Wie oft passiert das im Alltag? Nicht so oft.

Was passiert häufiger? Dass wir stolpern. Oder auf festen Untergrund stehen und obenrum instabil werden. Aha!

Wenn wir unserem Körper effektiv beibringen wollen, reflektiv die Wirbelsäule zu stabilisieren, sollten wir also auf festem Untergrund stehen und etwas wackliges in der Hand haben.

Oder wir machen Liegestütz auf einem Bosuball. Oder stabilisieren uns dynamisch mit Chops and Lifts. Und so weiter und so fort.

Hier ein paar Übungen für dein Training.

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Übung für das Training auf instabilen Unterlagen

Hier findest du eine Auswahl für Übungen mit instabilen Elementen, die deutlich effizienter sind als Wackelkissen und Co.

#1 Chops and Lifts

Chops and Lifts sind fantastische Übungen, um die Rumpfmuskulatur zu stärken und dynamisch zu stabilisieren.

Zusätzlich stellt die Übungsausführung in der halb-knienden Position ein gutes Balancetraining dar.

Für Chops: Begib dich dazu in die Ausgangsposition. Mache einen Ausfallschritt und lege das hintere Knie ist ab.

Das Bein, das näher am Kabelzug ist, wird aufgestellt.

Greife mit beiden Armen das Kabel. Ziehe von einem Kabelzug mit beiden Armen ausgestreckt das Kabel von oben nach unten.

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Halte die Wirbelsäule die komplette Zeit gerade. Nicht drehen und beugen!

Im Video siehst du, wie die Übung ausgeführt wird.

Für Lifts: Die Ausgangsposition ist genau andersherum: Das Bein, das vom Kabel weiter weg ist, wird aufgestellt.

Greife das Kabel von unten und ziehe es vor deinem Körper nach oben.

#2 Bulgarian Split Squats auf Bosuball

Ausfallschritte sind an sich bereits instabiler als Kniebeuge. Bulgarische Kniebeuge sind davon keine Ausnahme. Noch schwieriger wird es, wenn das passive (aka hintere Bein) auf einer Instabilität aufgelegt wird.

Das kann ein Gummiband in einem Squat Rack sein oder ein halber Bosuball.

Begib dich dazu in einen Ausfallschritt. Das hintere Bein ist auf dem Bosuball abgelegt.

Senke deinen Körper in einer geraden Linie ab.

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Drücke dich dann mit dem vorderen Bein wieder nach oben in die Ausgangsposition.

#3 Push ups auf Bosuball

Um Instabilität zu trainieren, ist es eine gute Idee, diese auf die Hände zu übertragen. Im Alltag stehen wir oft auf festem Untergrund und haben mit den Händen zu tun.

Um die reflektive Stabilisierung zu üben, sind Liegestütze auf einem Bosuball wunderbar geeignet. Weiterer Vorteil: Hier lässt sich tatsächlich eine höhere Muskelaktivierung mit weniger Gewicht erreichen.

Die Übung ist also wunderbar geeignet, um Muskeln bei Schulterproblemen zu trainieren. Ebenso eignet sich Kurzhantel-Bankdrücken auf einem Pezziball.

Dazu drehen wir den Bosuball um: Die runde Seite ist unten, die gerade oben.

Greife mit beiden Händen die Seiten des Bosuballs.

Begib dich in die Liegestütz-Position.

Gerade Linie von Fersen bis zum Kopf! Keinen Durchhänger oder Hintern herausstrecken.

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Mache einen Liegestütz, indem du die Ellenbogen nah am Körper führst, gehe so weit herunter, wie du gerade bleibst. Drücke dich wieder nach oben.

#4 Bottom Up Press

Der Bottom Up Press ist eine wunderbare Übung für die Schulter mit einem instabilen Element. Dafür benötigst du eine Kettlebell. 

Diese wird auf den Kopf gestellt und so über Kopf gedrückt.

Durch den veränderten Schwerpunkt wird die Übung instabil.

Du musst gut stabilisieren können und benötigst eine starke Griffkraft.

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#5 Overhead Carries

Overhead Carries mit Langhantel sind an sich schon eine sehr instabile Übung. Hebe dazu eine Langhantel aus dem Rack, drücke sie über Kopf und laufe los. Bleibe so stabil wie möglich in der Körpermitte.

Du kannst die Übung noch instabiler machen, indem du zwei Kettlebells oder Gewichtsscheiben mit zwei Gummibändern links und rechts an der Stange befestigst.

So muss dein Rumpf noch härter arbeiten.

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Training auf instabilen Unterlagen: Jetzt bist du dran!

Da du den Artikel bis hierhin gelesen hast, gehe ich davon aus, dass du ernsthaft daran interessiert bist, deine körperlichen Beschwerden loszuwerden.

Leider ist es nicht immer leicht, die richtigen Übungen zu finden. Vor allem weil du bei Google oft widersprüchliche Vorschläge findest.

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