Rückenschmerzen sind so eine Sache. Wenn du dich damit beschäftigst, findest du die unterschiedlichsten Erklärungsmodelle und Lösungen.
Das Problem als Laie: Der eine Experte sagt das, der andere Experte sagt das. Woher willst du wissen, was nun richtig ist und was nicht?
Selbst als jemand, der sich seit vielen Jahren damit beschäftigt, lerne ich ständig dazu und ändere meine Ansichten. Das ist ein Teil des Prozesses, wenn man ein Thema wirklich verstehen möchte.
Auf diesem Weg hätte ich manche Erkenntnisse gern eher gehabt. Zum Beispiel dass ein verkürzter Hüftbeuger nicht zu Rückenschmerzen führt oder das Haltung weniger eine Rolle spielt als angenommen.
Aber drei wirklich große Fakten über Rückenschmerzen, die ich gern eher gewusst hätte, lernst du in diesem Artikel kennen.
Mach dir noch einen Tee und setz dich bequem hin. Dieser Artikel könnte die eine oder andere Sichtweise über den Haufen werfen.
Wichtiger Hinweis
Dieser Artikel ist nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben und enthält aktuelle Ergebnisse aus der modernen Forschung. Dennoch ersetzen die Inhalte keine ärztliche Beratung, sondern dienen lediglich der Information.
1
MRT-Aufnahmen und Rückenschmerz
Vielleicht kennst du das: Du hast nun seit ein paar Tagen Rückenschmerzen. Du fragst dich, ob da vielleicht etwas schlimmeres dahinter steckt und lässt dich lieber mal vom Orthopäden durchchecken.
Und obwohl du die letzten 20, 30 Jahre damit keine Probleme hattest, sollen die Beschwerden von einem Beckenschiefstand kommen. Sicherheitshalber wird noch eine Röntgen- oder MRT-Aufnahme angeordnet.
Auf dieser sieht man dann angeblich die Ursache für die Rückenschmerzen. Ein Bandscheibenvorfall, eine Osteochondrose oder eine andere Veränderung.
Doch ist das wirklich die Ursache für deine Schmerzen? Wahrscheinlich nicht!
Denn 2015 zeigte eine wegweisende Studie an über 3110 schmerzfreien Menschen, dass auch diese diverse Veränderungen an der Wirbelsäule haben.
Sogar in der Gruppe der 20 bis 30-jährigen konnten bei 30% der Probanden Veränderungen festgestellt werden. Und diese hatten keinerlei Probleme (Brinjikji et al. 2015).
In einer anderen bahnbrechenden Untersuchung wurde eine 63-jährige Probandin innerhalb von 3 Wochen in 10 verschiedenen Einrichtungen mit Hilfe eines MRTs untersucht.
Die Ergebnisse sprechen Bände:
- Insgesamt wurden 49 verschiedene Veränderungen an der Wirbelsäule entdeckt,
- davon wurde keine einzige Veränderung in allen 10 Untersuchungen gefunden und
- nur eine Veränderung wurde in 9 von 10 Untersuchungen festgestellt (Herzog et al. 2017).
Damit soll auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass Radiologen ihr Handwerk nicht verstünden oder dass ein MRT nutzlos wäre! Im Gegenteil: Es gibt Fälle, in denen ein MRT bei der Wahl der richtigen Therapie helfen kann.
In anderen Fällen ist ein MRT unnötig. Vor allem dann, wenn die Rückenschmerzen erst seit kurzem bestehen und keine schwerwiegenden Symptome wie Lähmungen, Reflex- und/ oder Kraftverluste vorliegen.
Denn zu wissen, welche Struktur nun genau betroffen ist, würde nichts am Vorgehen ändern. Dafür kann eine frühzeitiges MRT negative Konsequenzen haben.
So zeigte eine Untersuchung am Health Economics Resource Center in Kalifornien: Wenn ein MRT in den ersten 6 Wochen gemacht wird, obwohl keine Symptome dafür sprechen, mehr Operationen durchgeführt werden, die Betroffenen ein höheres Schmerzempfinden haben und mehr Schmerzmittel konsumiert werden (Jacobs et al. 2020).
Das ist nur ein Grund, warum sich moderne Leitlinien für Ärzte dafür aussprechen, zunächst kein MRT zu machen (siehe z.B. die Leitlinie Kreuzschmerz oder Leitlinie lumbale Radikulopathie).
2
Du brauchst keine bestimmten Übungen
Eine schnelle Suche bei Google mit dem Schlagwort "Übungen bei Rückenschmerzen" liefert 1,5 mio. Ergebnisse. Klickst du die einzelnen Suchergebnisse durch, findest du fast ausschließlich gezielte Übungen für die Körpermitte.
Dabei haben wir in diesem Artikel ausführlich besprochen, warum du bei Rückenschmerzen wahrscheinlich keine spezifischen Übungen für den Rumpf benötigst.
Denn die Studien der letzten Jahre haben einen interessanten Fakt offenbart: Bei Rückenschmerzen funktioniert allgemeine Bewegung genau so gut wie spezifische Übungen für den Rumpf (Wang et al. 2012).
Ob du also spazieren gehst, Fußball spielst oder Krafttraining machst, ist dir überlassen!
Ich persönlich bin natürlich voreingenommen und empfehle gerne Krafttraining. Es gibt einige Untersuchungen, die dahingehend überlegenere Effekte zeigen (Tjosvoll et al. 2020; Tataryn et al. 2021).
Aber das ist auch nicht unbedingt notwendig, wenn du keine Lust dazu hast! Denn die allermeisten Rückenschmerzen gehen von alleine wieder weg (Indahl et al. 1995). Vielleicht kann es 6 bis 12 Wochen dauern. Und vielleicht sind die ersten Wochen schlimm. Dennoch ist die Prognose sehr gut!
Solange du keine schwerwiegenden Symptome wie Taubheit, Lähmungen oder Inkontinenz hast, brauchst du dir keine Sorgen machen.
Du darfst dich im Rahmen deiner Möglichkeiten bewegen!
Und nun das wirklich Interessante: Was glaubst du, hat die größere Vorhersagekraft, ob Rückenschmerzen chronisch werden oder nicht? Der Grad der Verletzung/ Veränderung an der Wirbelsäule oder psychosoziale Faktoren?
Wenn du auf psychosoziale Faktoren getippt hast, liegst du vollkommen richtig (Liebenson et al. 2020).
Katastrophisieren, Angst vor Bewegungen, Depression, Einsamkeit usw. sind Faktoren, die deutlich mehr mit einer Chronifizierung zusammenhängen.
Damit du keine chronischen Beschwerden entwickelst, darfst du eines verinnerlichen: Keep cool and move on.
3
Chronische Rückenschmerzen sind verwirrend
Wir haben gesehen, dass die meisten Rückenschmerzen innerhalb von 6 Wochen auch ohne spezifische Intervention zurückgehen. Andere benötigen ein konkreteres Vorgehen, wie ich es hier beschrieben haben.
Und wieder andere Rückenschmerzen bleiben dennoch bestehen. Dann sprechen wir von chronischen Rückenschmerzen.
Doch was passiert eigentlich, wenn Rückenschmerzen chronisch werden? Bedeutet das dann, sie sind nicht heilbar?
Zunächst dürfen wir eines verstehen: Ob Rückenschmerzen chronisch werden oder nicht, hängt nicht unbedingt von der Schwere der Verletzung ab. Entscheidender sind psychosoziale Faktoren wie Katastrophisieren, Bewegungsängste, Stress usw. (Liebenson 2020).
Wenn wir uns die komplexe Schmerzphysiologie anschauen, verstehen wir auch wieso.
Dabei dürfen wir uns immer wieder bewusst machen, dass es keine Rezeptoren gibt, die Schmerzen wahrnehmen. Diese sogenannten Nozizeptoren nehmen lediglich intensive Reize wahr. Sie sind quasi Intensität-Rezeptoren.
Diese Signale können potentiell zu einer Schmerzerfahrung führen, müssen sie aber nicht. Die Signale aus den Nozizeptoren werden über das Rückenmark zum Thalamus geleitet. Hier findet eine Vorauswahl statt: Sind diese Reize wichtig genug, um in andere Hirnareale weitergeleitet zu werden?
Wenn ja, werden die Signale mit anderen Informationen abgeglichen. Dabei spielen auch Informationen aus unserer Umwelt, früheren Erfahrungen, Erwartungen und eben auch unseren Emotionen eine Rolle. Aus all diesen Informationen wird dann die individuelle Schmerzerfahrung erstellt.
Und in den Neurowissenschaften gibt es eine Weisheit: What fires together, wires together. Die Neuronen, die zusammen feuern, speichern sich zusammen ab.
Wenn also in einer akuten Schmerzsituation noch negative Emotionen hinzukommen, hat das zwei Folgen:
- die absteigende Schmerzhemmung funktioniert aufgrund der geringen Verfügbarkeit von Serotonin schlechter und
- Negative Emotionen werden mit der Schmerzerfahrungen in Zusammenhang gebracht.
Und das ist nicht nur schlau daher erzählt, sondern lässt sich mit Hilfe eines funktionellen Magnetresonanztomografen optisch darstellen.
So konnte eine Untersuchung an der Northwestern University in Chicago zeigen, dass sich die Hirnaktivität bei Schmerzen im Lauf eines Jahres änderte.
Und das obwohl die Probanden ihre Beschwerden stets gleich beschrieben!
Demnach geht mit einer Chronifizierung auch eine höhere Aktivierung im emotionalen Schaltkreisen einher (Hashmi et al. 2013).
Für die Behandlung von chronischen Rückenschmerzen bringt das einige Implikationen mit sich:
- Da die allermeisten Strukturen innerhalb von 6-12 Wochen heilen, brauchen wir uns bei chronischen Schmerzen weniger auf spezifische Übungen konzentrieren und
- Psychosoziale Faktoren und Emotionen spielen mit fortschreitender Schmerzdauer eine zunehmende Rolle und MÜSSEN berücksichtigt werden!
Wenn Schmerzen schon lange bestehen, verlieren sie ihre schützende Funktion. Dann geht es mehr um eine "Überängstlichkeit" des Nervensystems, vergleichbar mit Helikoptereltern. Diese wollen ihr Kind auch vor harmlosen Reizen beschützen.
Indem hier gute Aufklärungsarbeit stattfindet, wir dem System mehr Sicherheit geben und lernen, Emotionen zu regulieren, können auch chronische Schmerzen gelindert werden.
Findest du die Schmerzphysiologie genau so spannend wie ich? Möchtest du sie ebenfalls besser verstehen und die Implikationen für die Praxis kennenlernen? Dann ist das Webinar "Schmerzphysiologie verstehen und anwenden" genau das Richtige! Hier erfährst du mehr darüber.
4
Jetzt bist du dran!
Da du den Artikel bis hierhin gelesen hast, gehe ich davon aus, dass du ernsthaft daran interessiert bist, deine körperlichen Beschwerden loszuwerden.
Leider ist es nicht immer leicht, die richtigen Übungen zu finden. Vor allem weil du bei Google oft widersprüchliche Vorschläge findest.
Jedoch gibt es eine Trainingsmethode, die für jeden Trainingsstand und jedes Alter geeignet ist: Die kontrollierten Gelenkrotationen. Ich nutze sie mit jedem Kunden, egal was er hat.
Damit auch du in den Genuss dieser Trainingsmethode kommst, habe ich das eBook "Schmerzfrei und beweglich mit Gelenkrotationen" erstellt. Darin erfährst du, wie die Gelenkrotationen funktionieren und wie du sie für deine Ziele nutzen kannst.
Trage einfach deine Emailadresse ein und du bekommst das eBook für 0€:
Über Felix
Meine Name ist Felix Kade und ich arbeite als Personal Trainer in Leipzig, sowie als Dozent für (Reha-)Trainer in ganz Deutschland. Unter anderem bin ich ausgebildet als medizinischer Fitnesstrainer, Reha-Trainer für Orthopädie, Faszientrainer und vieles mehr.
Durch moderne Erkenntnisse aus der Neuro- & Schmerzwissenschaft helfe ich meinen Klienten, den Schmerzkreislauf schneller hinter sich zu lassen und wieder mehr Zeit sowie Energie für die wichtigen Dinge im Leben zu haben.
Titelbild: Getty Images Pro - canva.com