Muskuläre Dysbalancen korrigieren: Was hat es mit verkürzten Muskeln auf sich?

Muskuläre Dysbalancen korrigieren – leidest du an muskulären Dysbalancen? Entstehen deine Rückenschmerzen aufgrund muskulärer Dysbalancen?

Willst du präventiv arbeiten, indem du muskulären Dysbalancen vorbeugst? Was bedeutet das überhaupt?

In meinen Artikel zeige ich immer wieder, wie du Fehlhaltungen korrigieren und Schmerzen lindern kannst. Obwohl es nicht immer der Fall ist, lassen sich die Probleme sehr oft auf muskuläre Dysbalancen zurückführen.

Darum soll in diesem Artikel die Perspektive gewechselt werden. Wir zoomen etwas heraus und gehen allgemein an das Thema heran:

  • was sind muskuläre Dysbalancen eigentlich?
  • Was hat es mit verkürzten Muskeln auf sich?
  • Wie kannst du muskuläre Dysbalancen korrigieren?

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Was sind muskuläre Dysbalancen?

Damit sich der Mensch effizient bewegen und funktionieren kann, benötigen die Muskeln um ein Gelenk herum ein ausbalanciertes Längen- und Kräfteverhältnis.

Wenn das nicht gegeben ist, ist das Gelenk direkt betroffen und wird nicht gleichmäßig belastet.

Ein Beispiel dafür sind nach vorn hängende Schultern. Das ist eine Fehlhaltung, die von einem festen und verkürzten Pectoralis Minor ausgelöst wird und mit überdehnten Schulterblattrückziehern einhergeht.

Was sind nun Ursachen von muskulären Dysbalancen?

Die Klassiker sind eine schlechte Körperhaltung durch viel Sitzen, einseitige Belastung, Ein Unfall, Stress oder wiederholte Fehlbelastung.

Doch der Körper ist ja nicht blöd. Er will sich weiterhin bewegen und das am liebsten mit dem Weg des geringsten Widerstandes.

Der Weg des geringsten Widerstandes führt allerdings zu einer veränderten reziproken Inhibition, synergistischen Dominanz und manchmal zu Verletzungen. Hä?!

Ich erkläre die Begriffe und Hintergründe dazu weiter unten.

Wenn diese neuen Muskel-aktivierungsmuster bestehen bleiben, führt das dazu, dass sich der Muskel auf einer Seite des Gelenks verkürzt und der Muskel auf der anderen Seite dehnt.

Dysbalancen führen zu Gelenkproblemen.

Aus diesem Prinzip abgeleitet kommt der Begriff „verkürzter Muskel“.

Es scheint allgemeiner Konsens zu sein, dass ein verkürzter Muskel fest zu sein hat und zu stark feuert. Im Gegensatz dazu soll ein gedehnter Muskel zu wenig arbeiten und schwach sein.

Obwohl das manchmal korrekt ist, muss das nicht stimmen. Zwei Gründe dafür sind Folgende:

  1. Das Gefühl eines verspannten Muskels bedeutet nicht immer, dass ein Muskel verkürzt ist.
  2. Nur weil ein Muskel verkürzt ist, heißt das nicht, dass dieser auch zu stark arbeitet. Und anders herum: Nur weil ein Muskel gedehnt ist, heißt das nicht, dass er zu schwach ist.

Auf diesen beiden Punkte gehen wir gleich näher ein, ok?

Vorher erfährst du noch die drei Kompensationsmechanismen im Körper, die zu muskulären Dysbalancen überhaupt führen:

  1. Ein schwacher Antagonist: Ein gutes Beispiel dafür ist eine vorgestreckte Kopfhaltung. Die Halsbeuger vorn am Hals sind schwach und die Halsstrecker hinten sind überaktiv.
  2. Ein schwacher Synergist: Häufig sieht man dies bei Plantar Fasciitis (Später mehr dazu). Dabei springen die Wadenmuskel für ein schwaches Gesäß ein, was zu Schmerzen in der Plantarfaszie führt.
  3. Ein schwacher Core: Der Körper versucht die Stabilität in der Mitte zu behalten und nutzt dafür Muskeln außerhalb der Mitte. Das sieht man zum Beispiel bei Liegestütz oft, wenn die Athleten den Kopf auf dem Weg nach unten vorschieben.

Das war bis hierher ein grober Abriss eines komplizierten Themas. Das ist mir bewusst. Ich versuche den Artikel so kompakt wie möglich zu halten und nicht auszuarten.

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Was hat es mit verkürzten Muskeln auf sich?

Was passiert da eigentlich in einem Muskel? Das erkläre ich dir anhand der zwei eben getätigten Aussagen.

1. Das Gefühl eines verspannten Muskels bedeutet nicht immer, dass ein Muskel verkürzt ist.

In den Muskeln gibt es zwei wichtige Rezeptoren: Die Muskelspindeln und die Golgi-Sehnenorgane.

Die Muskelspindeln sind Rezeptoren, die in den Muskelbäuchen sitzen und hauptsächlich dafür zuständig sind, Längenänderungen und die Geschwindigkeit von Längenänderungen wahrzunehmen.

Wird ein Muskel zu stark gedehnt, lösen die Muskelspindel einen Dehnreflex aus und der Muskel spannt sich an. Das führt zu einem Gefühl der Verspannung.

Die Golgi-Sehnenorgane sitzen nahe am Ursprung und Ansatz eines Muskels. Sie sind dafür zuständig, die Muskelspannung und die Änderung von Muskelspannung wahrzunehmen.

Golgi-Sehnenorgane sitzen ursprungs- und ansatznah.

Wenn ein Muskel Kraft generiert, wird das Golgi-Sehnenorgan stimuliert. Daraufhin sendet es Nervenimpulse an das zentrale Nervensystem, die die Kraft und Spannung im Muskel regulieren.

Beide Rezeptoren können sich gegenseitig beeinflussen. Um dich nicht komplett zu verwirren, machen wir das Ganze mal an einem Beispiel deutlich.

Eine typische Fehlhaltung ist ein Anterior Pelvic Tilt, der ein Hohlkreuz nach sich zieht.

Wenn sich das Becken nach vorn kippt (Anterior Pelvic Tilt), wird die hintere Oberschenkelmuskulatur in die Länge gezogen. Mit der Zeit fangen die Muskeln im hinteren Oberschenkel an, sich fest und angespannt anzufühlen.

In den meisten Fällen hat man nun den Drang, den hinteren Oberschenkel zu dehnen, oder?

Wird die ischiocrurale Muskulatur gedehnt, werden die Golgi-Sehnenorgane durch die gestiegene Spannung stimuliert und hemmen die Muskelspindeln. Kurz nach der Dehnung fühlen sich die Muskeln entspannter an.

Jedoch sorgt der Anterior Pelvic Tilt für eine verlängerte Ruheposition der hinteren Oberschenkel.

Und sobald die Golgi-Sehnenorgane nicht mehr stimuliert werden, signalisieren die Muskelspindeln dem zentralen Nervensystem, dass die hinteren Oberschenkelmuskeln kontrahieren sollen.

Das führt zu einem wiederkehrenden Gefühl von Spannung. Wie sinnvoll ist es nun, diesen Muskel zu dehnen? Du ahnst es...

Dieses Beispiel verdeutlicht, warum ich als Trainer nicht immer Dehnen empfehle und warum es manchmal sogar kontraproduktiv sein kann.

2. Nur ein Muskel verkürzt ist, heißt das nicht, dass dieser zu stark arbeitet. Und andersherum: Nur weil ein Muskel gedehnt ist, heißt das nicht, dass der Muskel zu schwach ist.

Shirley Sahrmann beschreibt in dem Buch Diagnosis and Treatment of Movement Impairment Syndromes, dass das Potential eines Muskels, Kraft zu entwickeln, von der Ruhelänge des Muskels abhängt.

Diese Relation ist als Längen-Spannungs-Beziehung bekannt.

Anders formuliert: Bei einem verkürzten Muskel überlappen sich zu viele Aktin- und Myosin-Filamente. Bei einem gedehnten Muskel überlappen sich zu wenige Aktin- und Myosin-Filamente.

Nun genug von dem Fachchinesisch. Im Klartext bedeutet das einfach: Sowohl ein verkürzter Muskel als auch ein überdehnter Muskel können potentiell als schwach getestet werden verglichen mit einem Muskel in seiner idealen Ruhelänge.

Dieser Logik folgend kann auch ein überdehnter Muskel als überaktiv und dominant getestet werden.

Schauen wir uns das wieder in unserem Beispiel mit dem Anterior Pelvic Tilt an:

Für die Hüftstreckung ist der Gluteus Maximus (der große Gesäßmuskel) der Hauptakteur.

Die hintere Oberschenkelmuskulatur dient nur als Unterstützung bei der Hüftstreckung.

Wir wissen allerdings, dass bei einem Anterior Pelvic Tilt die Hüftbeuger (Iliopsoas, Rectus Femoris, Tensor Fasciae Latae) verkürzt sind.

Nach Sherrington's Gesetz der reziproken Inhibition (erinnerst du dich? 😉 bedeutet das für unser Beispiel: Wenn ein Muskel kontrahiert (Hüftbeuger), dann muss der antagonistische Muskel entspannt bleiben (Gesäß).

Wenn nun ein Muskel permanent unter Spannung steht, haben wir ein Problem. Denn dann arbeitet der Antagonist fast gar nicht mehr.

Also: Wenn während einer Bewegung hautpsächlich die Hüftbeuger arbeiten, macht sich der Hüftstrecker einen Lenz.

Wie weiter oben bereits beschrieben, findet der Körper einen Weg, ans Ziel zu kommen. Wenn als der Hauptakteur nicht mitspielt, welcher Muskel muss dann ran?

Bingo! Der hintere Oberschenkel ist der beste Kandidat für den Job.

Diesen Prozess nennt man synergistische Dominanz. Dabei ist ein mechanisch verlängerter Muskel überaktiv und macht die Arbeit für den Hauptakteur.

Es lässt sich also grob zusammenfassen, dass ein Muskel prinzipiell fünf verschiedene Zustände haben kann:

  • er kann die optimale Ruheposition haben,
  • er kann verkürzt und schwach sein,
  • er kann verkürzt und stark sein,
  • er kann verlängert und schwach sein,
  • er kann verlängert und stark sein.

Woher soll man denn nun wissen, was genau zutrifft?!

Gut, dass du fragst 😉

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Woran erkenne ich eine muskuläre Dysbalance?

Es gibt verschiedene Assessment-Tools, die dabei helfen, muskuläre Dysbalancen korrigieren zu können.

Ob du dich nun für einen Functional Movement Screen (FMS), Haltungsanalyse, Ganganalyse, Short Musculoskeletal Function Assessment (SMFA), Manual Muscle Testing und weiß der Kuckuck, entscheidest, ist erstmal egal.

Je genauer die Ergebnisse sein sollen, umso komplizierter wird das Verfahren und der Ausführende braucht mehr Erfahrung.

Ein Functional Movement Screen ist noch schnell erlernbar. Für Manual Muscle Testing benötigt man schon ein paar Jahre Erfahrung.

Falls man die Fähigkeit dazu nicht hat, gibt es zum Glück Artikel wie diesen hier, in dem viele typische Kompensationsmuster aufgeschlüsselt werden.

Die allermeisten muskulären Dysbalancen lassen sich in dieser fantastischen Liste wiederfinden.

Sollte das allerdings für dich nicht ausreichen, kannst du mir gern eine Mail an info@felixkade.de schreiben und wir vereinbaren einen Termin.

Genauer bekommst du es dann nur noch mit einem Elektronenmikroskop.

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Muskuläre Dysbalancen korrigieren

Wie du nun konkret vorgehst, um eine muskuläre Dysbalance korrigieren zu können, erkläre ich dir im Folgenden anhand zweier Beispiele.

Das erste Beispiel bezieht sich auf unseren Kumpel den Anterior Pelvic Tilt. Das zweite Beispiel handelt von der Plantar Fasciitis – das ist eine schmerzhafte Entzündung der Faszie in der Fußsohle.

Beispiel #1: Muskuläre Dysbalancen korrigieren bei einem Hohlkreuz

Zwar habe ich in dem Artikel Hohlkreuz korrigieren bereits ausführlich geschildert, wie ein Hohlkreuz mit einem Anterior Pelvic Tilt korrigiert werden kann, dennoch erläutere ich es an dieser Stelle noch einmal beispielhaft.

Wir wissen aus dem Beispiel, dass bei einem Anterior Pelvic Tilt die Hüftbeuger verkürzt und überaktiv sind. Wir wissen bis hierher auch, dass die hintere Oberschenkelmuskulatur überaktiv ist, aber nicht verkürzt.

Wir wissen außerdem, dass der Gluteus Maximus ein Nickerchen macht und die Bauchmuskeln schwächeln.

Die korrekte Reihenfolge wäre nun wie folgt:

  1. Die Hüftbeuger mit myofaszialem Release entspannen und dehnen,
  2. Die hinteren Oberschenkel mit myofaszialem Release entspannen, aber NICHT dehnen,
  3. Den Gluteus Maximus mit der Hüftbrücke aktivieren,
  4. Die Core-Muskulatur mit Planks aktivieren.

Zum Abschluss ist es eine verdammt gute Idee, das neue Muskelaktivierungsmuster mit einer Ganzkörperübung zu festigen.

Hier bietet sich beispielsweise ein Squat to Row am Kabelzug an.

Beispiel #2: Muskuläre Dysbalancen korrigieren bei Plantar Fasciitis

Bei diesem Schmerzsyndrom setzen leider, leider zu viele nur lokal an und schauen nicht über den (Muskel-)Tellerrand hinaus. 

Dann wird auf der Plantarfaszie gerollert, was das Zeug hält.

Manchmal wird noch die Wade einbezogen, weil sie für die Spannung in der Plantarfaszie sorgt, wenn die Wadenmuskulatur überaktiv wird und verkürzt.

Nun wissen wir bisher, dass es für verkürzte und überaktive Muskeln einen Grund gibt.

Nehmen wir an, wir haben bei unserem Assessment festgestellt, dass die Wade zu stark arbeitet und der Gluteus nur minimal feuert.

Auch hier ist die korrekte Behandlungsreihenfolge wie folgt:

  1. Die verkürzte und überaktive Wadenmuskulatur entspannen (z.B. mit der Black Roll) und dehnen,
  2. Den Gluteus Maximus mit einer Hüftbrücke aktivieren.

Anschließend sollte das neue Aktivierungsmuster in einer Ganzkörperübung integriert werden. Hier bietet sich beispielsweise eine Tiefkniebeuge an.

Das allgemeine Protokoll, um muskuläre Dysbalancen korrigieren zu können, ist also immer:

  1. Verspannte Muskeln lösen,
  2. Verkürzte Muskeln dehnen,
  3. Schwache Muskeln aktivieren und
  4. Das Ganze in einem grundlegenden Bewegungsmuster integrieren.

Puh. Das war viel Input bis hierher. Ziehen wir an dieser Stelle ein Resümee.

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Jetzt bist du dran!

Da du den Artikel bis hierhin gelesen hast, gehe ich davon aus, dass du ernsthaft daran interessiert bist, deine körperlichen Beschwerden loszuwerden.

Leider ist es nicht immer leicht, die richtigen Übungen zu finden. Vor allem weil du bei Google oft widersprüchliche Vorschläge findest.

Jedoch gibt es eine Trainingsmethode, die für jeden Trainingsstand und jedes Alter geeignet ist: Die kontrollierten Gelenkrotationen. Ich nutze sie mit jedem Kunden, egal was er hat.

Damit auch du in den Genuss dieser Trainingsmethode kommst, habe ich das eBook "Schmerzfrei und beweglich mit Gelenkrotationen" erstellt. Darin erfährst du, wie die Gelenkrotationen funktionieren und wie du sie für deine Ziele nutzen kannst.

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Bildernachweis im Artikel "Muskuläre Dysbalancen erkennen":


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