"Mir ging es nach der Reha schlechter als vorher", Chris sitzt genervt und verunsichert vor mir.
Vor ein paar Wochen hat er sich an der Bandscheibe operieren lassen. Kurz darauf ging er in eine 3-wöchige stationäre Reha.
Das Problem: Nach der Reha ging es ihm schlechter als vorher. Und der Stationsarzt sagte: "Das ist normal."
Ganz ehrlich? Nein! Das ist nicht normal.
Darum sprechen wir in diesem Artikel darüber:
- Was typische Fehler nach einer Bandscheiben-OP sind,
- Welche 3 Phasen nach Bandscheiben-OP berücksichtigt werden müssen und
- Wie du Menschen nach Bandscheiben-OP Schritt für Schritt belastbarer machst.
Wichtiger Hinweis
Dieser Artikel ist nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben und enthält aktuelle Ergebnisse aus der modernen Forschung. Dennoch ersetzen die Inhalte keine ärztliche Beratung, sondern dienen lediglich der Information.
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Typische Fehler nach Bandscheiben-OP
Stell dir vor, du lässt dich an den Bandscheiben operieren. Direkt nach der OP geht es dir besser. In der Reha willst du alles richtig machen und gehst deswegen in eine stationäre Klinik.
Nach 3 Wochen geht es dir wieder schlechter als vorher. Der Stationsarzt sagt im Abschlussgespräch: "Das ist normal."
Ganz ehrlich: Ich würde mich verarscht fühlen. Und irgendwie auch nicht ganz richtig.
Genau so ging es Chris, als er von seiner Erfahrung berichtet.
Im weiteren Gespräch haben wir dann darüber gesprochen, was genau dort gemacht wurde. Mein Gesicht muss eine Mischung aus Entsetzen und Unglauben widergespiegelt haben.
Chris sollte dort täglich 5 STUNDEN Sport machen. 5 STUNDEN...
Und das ist ein typisches Problem für Menschen nach Bandscheiben-OP.
- Sie haben Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen,
- Sie denken, eine OP an den Bandscheiben löst das Problem
- Direkt nach der OP geht es besser und sie sind ihre Beschwerden los
- Sie denken, keine Schmerzen heißt alles super und sie können alles machen
- Sie überlasten sich gnadenlos und wundern sich, warum der Rücken wieder weh tut...
Und versteh mich nicht falsch: Bewegung und Training ist auch nach Bandscheiben-OP verdammt wichtig. Aber: Bitte immer angepasst an die Wundheilungsphasen.
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Die 3 Wundheilungsphasen nach Bandscheiben-OP
Wann kannst du anfangen nach Bandscheiben-OP zu trainieren?
2016 wollte ein Forscherteam von der Havard Medical School wissen, was effizienter ist: Wenn du 2 Wochen oder 6 Wochen nach OP mit Training beginnst.
Das Ergebnis: Es macht keinen Unterschied, ob Bewegung für 6 Wochen strikt eingeschränkt wird oder nicht [1].
Und das ist der wichtigste Punkt: Solche Ergebnisse sind kein Freifahrtschein einfach 5 STUNDEN am Tag Sport zu machen. Denn obwohl die 2-Wochen-nach-OP-Gruppe weniger Einschränkungen bekam, musste auch diese sich an die Wundheilungsphasen halten.
Darum lass uns mal über die 3 Phasen sprechen:
#1 Die Entzündungsphase
Du hast eine akute Verletzung. Darauf reagiert der Körper immer mit einer Entzündung. Damit säubert er das Wundgebiet und bereitet die folgenden Wundheilungsphasen vor.
Und dies passiert auch bei einer Operation. Es wird Gewebe durchtrennt, Bandscheibenmaterial entfernt und die Wunde verschlossen.
In den folgenden Tagen reagiert der Körper mit einer Entzündung.
Entzündungsphase heißt auch immer: Füße still halten!
Hier ist es extrem wichtig sich an die Vorgaben des Chirurgen zu halten. Meistens ist die Sitzdauer limitiert und die Gehstrecke wird vorgegeben.
Diese Phase dauert in der Regel wenige Tag bis manchmal 2-3 Wochen. Dies wurde in der oben erwähnte Studie also berücksichtigt.
Wenn dies super funktioniert, gehen wir in die nächste Phase über:
#2 Die Proliferationsphase
Die Proliferationsphase ist die kritische Phase. Oftmals gibt es keinen Dauerschmerz sondern nur bewegungsabhängigen Schmerz.
Hier ist die Wunde notdürftig mit Kollagen Typ 3 geschlossen. Diese Fasern haben einen Nachteil: Sie sind wenig belastbar. Wird in dieser Phase zu schnell zu viel gemacht (5 Stunden Training anyone?), kann es zu einer Wiederverletzung kommen.
Dann gehst du wieder auf Los und ziehst keine 4000€. Und wunderst dich, warum es wieder mehr weh tut. Ja, Wiederverletzung ist ein echtes Risiko!
Darum wichtig: Unbedingt im schmerzfreien Bewegungsumfang trainieren!
Gleichzeitig ist dies auch ein wenig tricky. Denn am Ende dieser Wundheilungsphase wollen wir den Bewegungsumfang haben, den wir am Ende benötigen.
Nach 4-6 Wochen ist dann die Proliferationsphase abgeschlossen. Der Körper beginnt die vorübergehenden Kollagen Typ 3 Fasern in robustere Typ 1 Fasern umzuwandeln. Wir haben eine stabile Narbe.
#3 Die Remodellierungsphase
In der letzten Phase heißt es: Belastbarkeit aufbauen! Wir haben eine stabile Narbe und nun wollen wir das Gewebe in seine gewünschte Form bringen.
Auch hier dürfen wir eines verstehen: Je schlechter durchblutet eine Struktur ist, desto länger dauert diese Phase. Und Bandscheiben sind die am schlechtesten durchbluteten Strukturen überhaupt.
Die Remodellierungsphase kann entsprechend 300-500 Tage dauern. Manche sprechen von einem so langsamen Stoffwechsel der Bandscheibe, dass die Turnover Rate bei über 100 Jahren liegt.
Für Betroffene heißt das: Nur weil der Schmerz nicht mehr auftritt und Dehnreize okay sind, können sie nicht 100% ballern.
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Wie du Menschen nach Bandscheiben-OP Schritt für Schritt belastbarer machst
Mein Konzept ist simpel:
- Die Schmerzanalyse
- Schmerz angepasstes Training
- Aufklärung über die Situation
Lass uns mal schauen, wie wir dieses Konzept Schritt für Schritt genutzt haben, um Chris wieder auf den richtige Weg zu bringen:
#1 Die Schmerzanalyse
Stell dir vor, du knickst mit dem Knöchel um. In den Tagen direkt nach der Verletzung, wirst du den Fuß konsequent entlasten.
Nach ein paar Tagen fängst du an, ihn vorsichtig zu belasten. Und nach ein paar Wochen bist du wieder so fit, dass du Stück für Stück mehr machen kannst.
Ganz ähnlich ist es nach Bandscheibenvorfall oder Bandscheiben-OP. Es gibt einfach Bewegungen, welche den unteren Rücken mehr oder weniger stressen.
Deswegen kannst du halt nicht einfach alles machen, sondern musst das Training an die Situation anpassen.
Wie findest du heraus, wo dein Kunde/ Patient gerade steht und was die Symptome auslöst?
Mit einer guten Anamnese und einem darauf basierendem Testing!
In Chris' Situation wussten wir so, dass er keine akuten Entzündungszeichen hatte, aber der Schmerz bewegungsabhängig ist. Folglich sind wir in der zweiten Wundheilungsphase gestartet.
Seine Symptomatik wurde bei Vorbeugen und längerem Sitzen ausgelöst (was sehr typisch ist für Bandscheibenschäden). Gleichzeitig war seine Streckung stark eingeschränkt.
Darüber hinaus fanden wir weitere Bewegungseinschränkungen. Diese sorgten dafür, dass seine Bewegungsstrategien bevorzugt den unteren Rücken involvierten. Also haben wir auch daran gearbeitet, um mehr Bewegungsvariabilität zu haben.
#2 Schmerz angepasstes Training
Welche Übungen hat Chris nun als Hausaufgabe bekommen? Natürlich die letzten, die ich bei Instagram geliket habe 😉
Chris hat Übungen bekommen, die einen bestimmten Zweck erfüllen. Nicht weil sie gut aussehen oder vermeintlich die beste Übung ever ist. Hier sind meine Gedankengänge:
- Hubarme Mobilisation der Lendenwirbelsäule in Beugung im schmerzfreien Bereich
- Regelmäßige Streckung der LWS, weil er beruflich viel sitzt
- Start des direkten Trainings für den Rücken im Kraftausdauerbereich (nicht bis Muskelversagen)
- Ausfallschritte, weil er wieder Fahrrad fahren will und braucht starke Beine
- Ein paar Übungen für den Oberkörper, weil er viel sitzt und öfter Verspannungen im Nacken hat
Passende Übungen sind das eine. Die passende Belastungssteuerung das andere.
Ganz pauschal: Weniger ist mehr. Start low and go slow.
Verletztes Gewebe hat fast keine Belastungstoleranz. Wir wollen den unteren Rücken belastbarer machen. Nicht überlasten.
#3 Aufklärung über die Situation
Menschen mit (langanhaltenden) Rückenschmerzen wollen nur 3 Dinge wissen:
- Was ist die Ursache für ihre Beschwerden,
- Welche Übungen können sie machen und
- Wie können sie mit ihren Schmerzen besser umgehen?
Mit einer strukturierten Schmerzanalyse und einem passenden Trainingsplan erfüllst du das meiste davon.
Die Ursache seiner Beschwerden war offensichtlich: Er hatte einen Bandscheibenvorfall, der operiert wurde und hat danach zu schnell zu viel gemacht.
Zusätzlich ging es darum zu erklären:
- Wie funktioniert Training und Anpassung
- Wie lange wird es dauern (Wundheilungsphasen!) und
- Wie muss er vorübergehend seinen Alltag anpassen.
Das war's. Weniger ist mehr.
In Chris' Fall war es einfach: Er sitzt beruflich viel und möchte Fahrrad fahren.
Also haben wir Strategien für abwechslungsreiches Sitzen besprochen und sein Fahrrad so angepasst, dass er vorübergehend aufrechter Sitzen kann.
Und das war es: Mittlerweile ist Chris auf dem besten Weg wieder alles machen zu können.
Das wichtigste in dem Fall: Der Wundheilung nicht dazwischen funken und den Körper machen lassen.
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Zusammenfassung
Eine gute Reha ist kein Hexenwerk, wenn:
- Wir nicht aus dem Bauch heraus irgendwas machen, sondern einen klaren Fahrplan haben
- Wir uns nicht verunsichern lassen, weil jemand schon "alles probiert hat" und wir Lösungen parat haben
- Wir mit Schmerzverstärkungen umgehen können statt uns verunsichern zu lassen und
- Wir aktiv trainieren lassen, um Patienten/ Kunden belastbarer zu machen, statt aus Wissensmangel nur passiv zu behandeln.
Bist du Therapeut, Trainer oder Schmerz Coach und wünschst dir auch einen strukturierten Fahrplan für die Behandlung von (chronischen) Rückenschmerzen?
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Titelbild: Dragos Condrea - canva.com
[1] Bono, C. M., Leonard, D. A., Cha, T. D., Schwab, J. H., Wood, K. B., Harris, M. B., & Schoenfeld, A. J. (2017). The effect of short (2-weeks) versus long (6-weeks) post-operative restrictions following lumbar discectomy: a prospective randomized control trial. European Spine Journal, 26, 905-912.